Wahlsonntag in Dystopia: Send in the Clowns

Failed State Berlin
Neukölln
Autor:in

Jörg Kantel

Veröffentlichungsdatum

11. Februar 2023

Morgen ist (Wiederholungs-) Wahlsonntag in Dystopia. Ich habe (schon vorab per Briefwahl) die PARTEI gewählt und bitte Euch, es mir nachzutun. Meine Begründung und Motivation (besser: Nicht-Motivation) dafür hatte ich hier schon niedergeschrieben. Denn wie heißt es in einer alten Theaterweisheit? »If the show isn’t going well, let’s send in the clowns.« Mit anderen Worten: Ist der Karren an die Wand gefahren, müssen die Clowns ran.

Wie der Karren an die Wand gefahren ist, könnt Ihr unter anderem auch in der aktuellen Mitgliederzeitschrift meiner Gewerkschaft nachlesen: Die Politik hat jedes Vertrauen restlos und unwiderruflich verspielt:

In ihrem Buch »Der Verlust – Warum nicht nur meiner Mutter das Vertrauen in unser Land abhandenkam« beschreibt die Zeit-Journalistin Anita Blasberg, wie Wirtschaftslobbyisten anfingen, die Politik zu bestimmen. Wie nach dem Crash der Banken diese mit Milliarden Euro Steuergeldern gerettet wurden. Das Gesundheitswesen in die Gewinnmaximierung und damit an den Rand des Kollapses getrieben wurde. Wie im Stuttgarter Bahnhof Milliarden und mit ihnen in Teilen die Demokratie mit Wasserwerfern im Einsatz gegen friedlich demonstrierende Menschen versenkt wurden. Wie blind Polizei und Justiz auf dem rechten Auge angesichts der NSU-Morde waren. Wie die Klimawandelleugner sich über Jahrzehnte mit allen Regeln des Vertuschens durchsetzten. Wie überall Vertrauen verloren ging.

Protagonistin des Buches ist die Mutter der Autorin, eine kluge Frau etwa in meinem Alter. Und sie bekräftigt noch einmal in dem Interview, warum sie das Vertrauen in diesen Staat und in diese Politik restlos verloren habe:

Dadurch, daß man seit den 80ern dem Weg »Privat vor Staat« bis in jeden Winkel unseres Lebens gefolgt ist, ist mein Vertrauen in den Staat immer weiter den Bach runtergegangen. Zu oft folgt er jenen wirtschaftlichen Interessen, vor denen er uns eigentlich schützen müsste. Heute ist mein Vertrauen leider bei null.

Meines auch: Daher wähle ich die PARTEI und hoffe wenigstens so beim kommenden Armageddon auf ein wenig Spaß.

Um den Unwillen und die Unfähigkeit der Politik zu illustrieren, Probleme anzugehen oder gar zu lösen, hier ein kleines Beispiel aus meinem Wohnbezirk:

Durch unseren Kiez läuft ein kleiner Park. Ach was, kein Park, sondern ein bepflanzter Betondeckel auf dem Britzer Autobahntunnel. Euphemistisch hat ihn die Politik aber dennoch »Carl-Weder-Park« getauft und mit ein paar Bäumchen bepflanzt, die wegen der darunterliegenden Betondecke aber kaum Wasser bekommen. Zwar hat das damalige Planungsbüro das vorausgesehen und eine Bewässerungsanlage installiert, doch wie alles Technische in Neukölln ist diese schon seit Jahren defekt und niemand für die Reparatur zuständig. Und so verkümmert eben alles.

Aber ich wollte über die Zuständigkeiten reden: Wie alle Grünanlagen in Berlin im allgemeinen und Neukölln im besonderen leidet auch dieser »Park« an einem Müllproblem. Meldet man einmal eine besonders heftige Vermüllung bei den zuständigen Operettenpolizisten (aka »Ordnungsamt«) mit der Bitte um Beseitigung, hüllen sich diese in Schweigen. Fragt man nach, erfährt man, daß die Operettenpolizeit nur für öffentliches Straßenland zuständig sei, Vermüllung von Grünanlagen müsse man dem Grünflächenamt melden. Das wiederum antwortet, daß – wegen des Deckels über der Autobahn – für diese Grünfläche eben die Bundesautobahnverwaltung in der Pflicht sei. Fragt man aber dort nach, bekommt man als Antwort, daß man diese Aufgabe an die Senatsinnenverwaltung übertragen habe. Nun, Gabi und ich sind ja hartnäckig, also wenden wir uns dorthin. Die Dame dort ist zwar sehr nett, bedauert aber, daß sie nur treuhänderisch verwalte und die Zuständigkeit letztendlich beim Bund läge. Dort gibt es anscheinend einen sehr verspielten Mitarbeiter, der gerne die Münze wirft und auf Anfrage entweder zurück an die Bundesautobahn- oder die Senatsinnenverwaltung verweist – je nachdem ob der Münzwurf Kopf oder Zahl ergibt. So schließt sich der Kreis der (Nicht-) Zuständigkeiten.

Gabi und ich wundern uns dann nur, wenn nach ein paar Monaten und der Aufzucht unzähliger Rattengenerationen der Müll doch irgendwann und eher zufällig abgeräumt wird.

Das ist organisierte und gewollte Verantwortungslosigkeit. Da helfen tatsächlich nur noch die Clowns von der PARTEI. Denn die PARTEI, die PARTEI, die hat immer Recht.

In diesem Sinne: Geht am Sonntag wählen und wählt die PARTEI!