Atlas Curiosa: Pop-Art trifft auf Brutalismus – der »Bierpinsel« in Berlin-Steglitz
Ein kaum zu übersehendes und dennoch meist geflissentlich ignoriertes Gebäude überragt die Steglitzer Schloßstraße: Das 47 Meter hohe Turmrestaurant Steglitz, besser bekannt unter dem Namen »Bierpinsel«. Der markante Bau wurde von 1972 bis 1976 nach Plänen der Architekten Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte erbaut, die auch das ICC Berlin und das ehemalige Tierversuchslabor der Charité, den sogenannten »Mäusebunker«, entwarfen. Der Bau ist in eine Autobahnbrücke integriert, die an dieser Stelle die Schloßstraße überspannt und Teil des gescheiterten Projekts einer autogerechten Stadt war.
Der Turm sollte zum einen den dominanten Charakter der Hochstraße mildern und zum andern mit den beiden darunter- und übereinanderliegenden Bahnsteigen des U-Bahnhofs Schloßstraße eine einheitliche Gestaltung bilden. Deshalb bestand der Bau in seiner ursprünglichen Form aus dem gleichen Sichtbeton und der roten Kunststoffverkleidung und den Anstrichen wie die Innenfassaden der U-Bahnsteige darunter. So war der Bau eine geniale Mischung zwischen Pop-Art und Brutalismus und ist eine der wenigen architektonischen Überbleibsel aus den 1970er Jahren, die erhalten geblieben sind.
Doch wurde der Bierpinsel viel zu spät – erst 2017 – unter Denkmalschutz gestellt. Denn schon im Jahre 2010 wurde die Fassade von Street-Art-Künstlern übermalt und somit die ursprüngliche Gestaltung verwässert.
Das hat auch damit zu tun, daß sich das als »Pleitebau« verrufene Gebäude schwer mit einer Nutzung tat: Es stand nach der Fertigstellung zunächst leer. Erst Mitte 1976 wurden Restaurants und Cafés eröffnet und aus dem großen Turm-Café im dritten Stock wurde in diesen Jahren die wöchentliche Radiosendung Zweites Frühstück mit John Hendrik vom RIAS aufgezeichnet und eine Woche später ausgestrahlt.
Danach erwarb die mittlerweile auch schon pleite gegangene Hähnchenbraterei-Kette Wienerwald den Bierpinsel. Wie diese konnte sich in den folgenden Jahren kein Betrieb lange halten und die Besitzer wechselten häufig. Letzte Nutzer des Gebäudes waren von 2003 bis 2006 eine Diskothek und eine Sport-Bar, danach vermietete eine neue Besitzerin, die Schlossturm GmbH, das Gebäude eher sporadisch als Event Location. Sie war auch für die Übermalung der Außenfassade verantwortlich und will das Gebäude ab 2025 nach einer umfangreichen, durch Frost- und Wasserschäden notwendig gewordenen Sanierung, wieder für Gastronomie und Veranstaltungen, aber auch als Co-Working Spaces für Start-Up-Unternehmen nutzen. Das klingt mir aber mehr danach, als würde ein rettender Strohhalm gesucht.
Kleiner Fun-Fakt am Rande: Auch wenn die weitere Zukunft des Bierpinsels noch unklar ist, konnte er dank seines markanten Äußeren zwischenzeitlich als Filmkulisse reüssieren. In der 2018 gesendeten Netflix-Serie Dogs of Berlin diente er als Hauptquartier des Landeskriminalamtes Berlin und erlangte so eine gewisse popkulturelle Berühmtheit über Berlin hinaus.
(Photos: CC BY-NC-ND 2.0 2006 by Gabriele Kantel und 2023 by Jörg Kantel)
Quellen
- Der Bierpinsel in der deutschsprachigen Wikipedia
- Der Bierpinsel auf Berlin.de
- Ab 2024: Büros und Gastronomie im »Bierpinsel« an der Schloßstraße, Entwicklungsstadt Berlin vom 13. Juni 2022
- Andreas Hartmann: Außenseiter der Architektur. Der Brutalismus in voller Anmut, taz vom 10. Juli 2023
- ders.: Zurück in die Zukunft, taz vom 3. Juli 2023
- Roman Kugge: Der Bierpinsel in Berlin. Futuristische Architektur in Reinkultur, Deutschland mal anders! o.J.