Berlin Attack: Prototypen mit Twine und Chapbook
Wie angekündigt möchte ich bei meinen Erkundungen von Twine und dem Storyformat Chapbook vorübergehend den Wunderland-Kosmos verlassen und an einem ganz anderen Beispiel zeigen, warum Chapbook trotz (oder besser: gerade wegen) seiner Beschränkungen hervorragend geeignet ist, einen Prototypen in Twine zu bauen, der dann später nach Ren’Py portiert werden soll.
Dafür habe ich meine alte Räuberpistole wieder hervorgekramt, sie mit neuen Avataren aus Clarissa Helps’ 14 Sprite Pack (die stehen unter der freien CC-BY-SA 4.0-Lizenz) aufgehübscht und ein wenig die Geschichte weitergesponnen.
Vorab: Ich habe den Prototypen nicht in Twine, sondern in Twines Kommandozeilen-Compiler Tweego entwickelt, weil ich da die einzelnen Passagen (einzeln oder auch mehrere, die meiner Meinung nach zusammengehören) in separate Dateien ablegen kann. Das hilft mir gewaltig, nicht die Übersicht zu verlieren.
Das Pojektverzeichnis habe ich – wie hier beschrieben – so organisiert
und dann Tweego jeweils mit diesem Kommando (die erste Zeile muß nur beim ersten Mal verwendet werden) aus dem Terminal von Visual Studio Code heraus aufgerufen:
Erst nachdem der Prototyp zu meiner Zufriedenheit fertiggestellt war, hatte ich ihn dann auch nach Twine importiert und die Passagen visuell ein wenig aufgeräumt, um den obigen Screenshot zu erhalten. Doch das ist dann nur noch reine Kosmetik, der Prototyp funktioniert auch ohne den Re-Import nach Twine.
Doch nun in medias res: Die erste Passage ist die Start
-Passage (start.twee
), die erst einmal die notwendigen Angaben StoryTitle
und StoryData
enthält:
:: StoryTitle
Berlin Attack
:: StoryData
{
"ifid": <Your IF-ID here>,
"format": "Chapbook",
"format-version": "1.2.3",
"start": "Start",
"zoom": 1.0
}
Die IF-ID
wird von Tweego beim ersten Durchlauf automatisch erzeugt. Sie ist ein eindeutiger Identifier, den Ihr auch kein zweites Mal vergeben solltet.
Dann folgt die eigentliche Start
-Passage:
:: Start
config.style.page.color: "gray-0 on black"
config.style.page.link.font: "18 none"
config.style.page.link.color: "orange-4"
config.style.page.link.lineColor: "orange-4"
config.style.page.link.active.color: "orange-4"
config.style.page.fork.divider.style: "none"
has_stick: false
hide_stick: false
--
# Die Geschichte beginnt …
[note]
Auftritt Hans Blond.
Hans neutral
[continued]
{embed image: "images/buero_hans_1.png", alt: "Hans Blond im Büro"}
Das ist Hans, Hans Blond.
Er arbeitet in der IT des Landesamtes für Verfassungsschutz. Seine Chefin
*Sylvia Berlin* hat ihn zu einem [[Meeting->Holger]] gerufen.
Hier habe ich im Header der Start-Passage erst einmal das Layout der Seiten definiert. Der Text sollte weiß auf schwarz erscheinen und alle Links in einem leuchtenden Orange erstrahlen. Und last but not least sollte eine Fork
(dazu weiter unten mehr) ohne Trennstrich angezeigt werden.
Dann habe ich noch die beiden Variablen has_stick
und hide_stick
mit false
vorbelegt.
Die darauf folgenden in [note] … [continued]
geklammerten Zeilen sind »Regieanweisungen« für den Port nach Ren’Py, die von Twine ignoriert werden. Und da Chapbook – im Gegensatz zu den Storyformaten Harlowe oder SugarCube sehr intelligent und intuitiv mit White Spaces umgeht, braucht man sich hier auch keine Sorgen zu machen: Chapbook ignoriert die Zeilen einfach und legt auch keine Leerzeilen an.
Wie man Bilder einbettet und Links anlegt, hatte ich schon bei meinen Ausflügen mit Alice in den Wunderland-Kosmos erläutert. Und das Chapbook fast alle Markdown-Auszeichnungen versteht, sollte Euch auch schon bekannt sein.
Daher komme ich nun zu dem Komplex Holger
, dessen Passagen ich der Übersicht wegen in einer Datei (holger.twee
) zusammengefaßt habe:
:: Holger
has_stick: true
--
[note]
Auftritt Holger Kern von rechts.
Hans neutral
[continued]
{embed image: "images/buero_kern.png", alt: "Hans und Holger"}
Auf dem Weg zum Büro seiner Chefin lief Hans sein alter Freund und Kollege
*Holger Kern* über den Weg.
{reveal link: "Er war ganz aufgeregt.", passage: "Holger 1"}
:: Holger 1
<p>
Holger: »Gut, daß ich Dich treffe. {reveal link: "Du mußt unbedingt diesen
Datenstick für mich aufheben.«", passage: "Holger 2"}
:: Holger 2
Du mußt unbedingt diesen Datenstick für mich aufheben.«
»Er enthält geheime Daten über eine
{reveal link: "Verschwörung gegen den Senat.«", passage: "Holger 3"}
:: Holger 3
Verschwörung gegen den Senat.«
»Du mußt ihn gut verstecken und darfst ihn niemanden geben,
[[schon gar nicht Sylvia->Holger 4]].«
:: Holger 4
{embed image: "images/buero_kern_2.png", alt: "Hans und Holger"}
Er drückte Hans den Stick in die Hand. Doch was sollte dieser tun?
> [[Zurück in sein Büro und den Stick dort verstecken und damit eine
Verspätung mit seinem Meeting riskieren?->Hide Stick]]
> [[Ihn einfach in die Tasche stecken und hoffen, daß alles gut geht?->Meeting]]
Wie man mit dem Insert reveal link
umgeht, hatte ich ebenfalls hier schon behandelt. Im Zusammenhang mit dem geplanten Ren’Py-Port ist hier von Bedeutung, daß die Dialoge in Ren’Py oftmals per Mausklick weitergehen. Das kann man in Chapbook mit {reveal link: link, passage: Passagenname}
sehr gut nachbauen.
Hier mußte ich in Zeile 17 mit <p>
doch einen Trick einbauen, um Twine zu zwingen, die neue Passage Holger 1
in einem neuen Absatz anzuzeigen, denn sonst hätte Twine sie direkt an die vorherige Passage angehängt.
Ganz neu sind die Forks
in den Zeilen 42 bis 44. Sie sind Links, die abgesetzt vom übrigen Text jeweils auf neue Passagen verweisen und damit äquivalent zu den Menues
in Ren’Py und sie können ähnlich eingesetzt werden. Per Default werden die einzelnen Forks mit einem horizontalen Strich getrennt, die Anweisung config.style.page.fork.divider.style: "none"
in der Start-Passage verhindert dies1.
Die Forks verweisen einmal auf die Passage Hide Stick
(hide_stick.twee
) und auf die Passage Meeting
(meeting.twee
). In der ersten wird einfach der Stick versteckt und die Variable hide_stick
auf true
gesetzt:
:: Hide Stick
hide_stick: true
--
[note]
Auftritt Hans Blond von links.
Hans neutral
[continued]
{embed image: "images/buero_hans_1a.png", alt: "Hans Blond im Büro"}
Hans versteckte den Stick in seinem Büro unter einer Kaffeetasse. Dann machte
er sich schleunigst auf zu seinem [[Treffen mit seiner Chefin->Meeting]].
Dann läuft auch diese Passage mit Meeting
zusammen. Das ist die komplexestes Passage dieses Prototypen. Sie sieht so aus:
:: Meeting
{embed image: "images/buero_sylvia_1.png", alt: "Sylvia Berlin im Büro"}
Klopf, Klopf …
[note]
Auftritt Sylvia Berlin von rechts.
[continued]
[if has_stick && !hide_stick]
{reveal link: "Sylvia: »Herein!«", passage: "Wachschutz 1"}
[else]
Sylvia: »[[Herein!->Meeting 2]]«
:: Meeting 2
[note]
Auftritt Hans Blond von links.
Sylvia talking.
[continued]
{embed image: "images/buero_sylvia_2.png",
alt: "Sylvia Berlin und Hans Blond im Büro"}
Sylvia: »Mein lieber Herr Blond, die Bürgermeisterin hat mich gebeten, ihr für
die anstehende Wahlwiederholung meinen besten IT-Spezialisten zur Verfügung zu
stellen. Und da habe ich an Sie gedacht. Sie können morgen gleich anfangen.«
Hans war sofort klar: Damit wollte Sylvia ihn als Konkurrenten um die
Referatsleitung kaltstellen. Doch was sollte er tun?
> [[Wütend den Raum verlassen und die Tür hinter sich zuknallen?->Wut]]
> [[Gute Miene zum bösen Spiel machen und der Versetzung zustimmen?
->Versetzung zugestimmt]]
Sie beginnt mit einem Teil, der nur aufgerufen wird, wenn die Variablen has_stick == true
und hide_stick == false
sind2. Wenn dies zutrifft, läuft die Story über die Passage Wachschutz 1
in das erste Bad Ending
.
Ansonsten geht es nach dem [else]
weiter und mündet in eine zweite Fork.
Doch zuerst einmal via wachschutz.twee
zum ersten Bad Ending
(bad_ending_1.twee
):
:: Wachschutz 1
Kaum hatte Hans den Raum betreten, heulten sämtliche Alarmsysteme des Amtes auf.
Der Stick ihn seiner Hosentasche war wohl mit einem RFID ausgestattet und hatte
den Alarm ausgelöst.
Der Wachschutz betrat den Raum und [[führte Hans ab->Bad Ending 1]].
Das hätte auch in eine Twee-Datei gepaßt, aber da ich in einer eventuellen, zukünftigen Fassung die Konfrontation mit dem Wachschutz noch ein wenig ausbauen und dramatisieren möchte, habe ich das vorsorglich getrennt.
Die Fork im [else]
-Teil der Passage mündet entweder über die Passage Wut
in das zweite Bad Ending
3 (bad_ending_2.twee
) dieser kurzen Geschichte
:: Wut
[note]
Abgang Hans nach links
[continued]
Hans [[verließ wütend den Raum->Bad Ending 2]] und schlug die Tür mit einem
lauten Knall hinter sich zu.
:: Bad Ending 2
[note]
Auftritt Hans von rechts.
Reginald Hans traurig
[continued]
{embed image: "images/buero_hans_2.png", alt: "Hans traurig"}
Kaum war Hans wieder in seinem Büro, als er auch schon eine Email bekam. Darin
stand in dürren Worten, daß sein Antrag auf Beförderung abgelehnt sei.
Tja Hans, zu hoch gepokert.
Das ist das viel zu frühe Ende!
> {restart link, label: "Noch einmal versuchen?"}
während über Versetzung zugestimmt
(versetzung_zugestimmt.twee
) die Geschichte in »normalen« Bahnen fortgeführt wird:
:: Versetzung zugestimmt
Hans: »Dann werde ich mal [[mein Büro räumen->Büro 2]].«
:: Büro 2
[note]
Auftritt Hans Blond von rechts.
Hans Flirting
[continued]
{embed image: "images/buero_hans_2a.png", alt: "Hans flirting"}
Hans (zu sich): »Sylvia ist zwar ein intrigantes Biest, aber süß
ist sie dennoch.« ❤️
Hans beschloß, Feierband zu machen und [[nach Hause zu gehen->Im Park 1]].
Mit den beiden Passagen Im Park 1
(im_park.twee
) und Hans Home 1
(hans_home_1.twee
) erreicht die Geschichte ihr vorläufiges Ende. Diese Passagem enthalten keine neuen Sprachelemente mehr:
:: Im Park 1
[note]
Auftritt Felix Leiter von rechts.
Auftritt Hans Blond von links.
Felix Leiter neutral
Reginald neutral
[continued]
{embed image: "images/im_park_1.jpg", alt: "Im Park"}
Der Weg nach Hause führte Hans wie jeden Abend durch einen kleinen Park. Dort
fiel ihm ein älterer Mann auf, der ihn zu beobachten schien. Er mußte ein
Kollege sein, denn er trug ebenfalls ein Shirt mit dem Abzeichen des Amtes.
In der Nähe einer zufällig dort stehenden Baumaschine sprach ihn der Fremde an:
[note]
Felix Leiter talking
[cont]
»Junger Mann, was immer in der nächsten Zeit passieren mag, gehen sie
in den Untergrund!«
[note]
Abgang Felix Leiter nach links
Hans Blond konfus
[cont]
Dann verschwand er wieder und lies Hans verwirrt zurück.
Hans setzte seinen Weg [[nach Hause->Hans Home 1]] fort.
:: Hans Home 1
Zu Hause angekommen mixte sich Hans erst einmal einen Drink um die Ereignisse
des Tages zu verarbeiten.
… Fortsetzung folgt.
Das war es erst einmal. Als nächstes werde ich diesen Twine/Chapbook-Prototypen nach Ren’Py portieren und das Ergebnis ebenfalls auf diesen Seiten präsentieren.
Wie immer habe ich die Geschichte einmal auf Itch.io hochgeladen, damit Ihr sie dort spielen, und zum anderen gibt es den Quellcode und die Bilder auch in meinem GitHub-Repositorium, damit Ihr alles nachvollziehen und -programmieren könnt. Habt Spaß damit!
Fußnoten
Da Forks mit einem
>
eingeleitet werden, beißt sich dieses mit der Markdown-Auszeichnung für Blockquotes. Daher müssen diese in Chapbook mit der HTML-Anweisung<blockquote> … </blockuote>
geklammert werden.↩︎Das hätte man auch mit einer Variable ausdrücken können, aber ich wollte ausprobieren, wie das
[if]
-Statement mit aus und/oder oder not zusammengesetzten boolschen Ausdrücken zurechtkommt.↩︎Dramaturgisch ist es eigentlich ungeschickt, zwei Bad Endings so kurz hintereinander in eine Geschichte einzubauen, aber der Prototyp ist ja ebenfalls nur sehr kurz und irgendwie wollte ich zwei »böse Enden« einbauen.↩︎